Die Riesen sind da
3. Oktober 2009 von Jolli
Ich war heute „Riesen“ anschauen. Ein tolles Spektakel sollte das sein anlässlich des Tages der Einheit am 3. Oktober. Viel konnte man vorher lesen und auch in der Berliner Abendschau sehen. Zwei riesige Marionetten (die kleine Mädchenpuppe ca. 8 m hoch, die große „Onkel“-Puppe ca. 15 m hoch) wurden von ganz vielen Menschen mit noch viel mehr Seilen in Bewegung gebracht. Das sollte eine ganz spannende Angelegenheit werden.
Eigentlich hatte ich vor, gestern schon mal am Straßenrand zu stehen und einige Fotos zu machen. Gestern war Start. Das kleine Mädchen setzte sich am Roten Rathaus im Osten Berlins in Bewegung und marschierte los, um seinen Onkel im Westen zu suchen.
Aber wie es so ist, als ich startklar war, fing es an zu schütten, so dass ich mir dachte: neeee, das muss ich nicht unbedingt heute sehen.
Heutevormittag erzählte mir ein Freund, wie schön und interessant es war, das Puppenmädchen auf seinem Lauf zu beobachten. Nein, geregnet hatte es dort nicht…
Scheibenkleister! Das hätte ich mir denken können, Berlin ist groß. Da regnet es nicht überall. Aber heute war ja auch noch etwas – eigentlich das Wesentliche – zu sehen. Beide Puppen sollten sich von West und Ost kommend am Brandenburger Tor treffen.
Also zog ich mich wind- und wasserfest an und machte mich auf den Weg zur S-Bahn. Mit dem Auto wäre es ja nicht möglich gewesen, weil die City weiträumig nicht mal befahrbar war, geschweige denn, dass es Parkmöglichkeiten gäbe.
Wer in der letzten Zeit nicht S-Bahn in Berlin gefahren ist, kann sich kaum vorstellen, was mich dort erwartete. Samstag, früher Nachmittag, die S-Bahn brechend voll (seit Monaten müssen ganze Linien wegen Reparaturarbeiten an Zügen stillgelegt werden bzw. es fahren meist Kurzzüge und das auch noch eingeschränkt in der Zugfolge). Acht Stationen bis zum anvisierten Brandenburger Tor, und an jeder Station Himmel und Menschen, die ebenfalls einsteigen wollten. Natürlich hatten viele Kinderwagen und Fahrräder dabei, von Hunden ganz zu schweigen.
Es war kaum ertragbar, aber ich hielt durch…. jedoch nur bis zum Bahnhof Friedrichstraße. Ich dachte, diese eine Station bis zum Tor…. die werde ich auch laufen können. Aber was mich draußen erwartete war die schlimmste Menschenansammlung, die ich persönlich erlebt habe. Silvester am Brandenburger Tor, Loveparade oder ähnliche Großveranstaltungen mit einer Million Menschen und mehr habe ich in der Vergangenheit tunlichst vermieden und nun das…. schieben und drängeln vorwärts und auch schon wieder entgegen kommend. Dieses Menschengewimmel… Kinderwagen, Hunde, Fahrräder. Alle paar Meter kam der Pulk zum Stehen, es ging nicht weiter. Entgegenkommende grinsten, man sah es ihnen an: die sollen ihre eigene Erfahrung machen. Das stand denen im Gesicht geschrieben, wirklich!! Aber ich habe es ignoriert. Ich wollte „Riesen“ sehen.
Dann endlich waren die paar hundert Meter überwunden, der Pulk hat mich mit geschoben bis zur Straße Unter den Linden, wo das kleine Mädchen entlang kommen sollte. Bloß warum traten mindestens ebenso viele Menschen den Rückzug an? War schon alles vorbei? Das konnte eigentlich nicht möglich sein, nach der Uhrzeit sollte es ja erst los gehen.
Unter den Linden, diese große Straße war ein Hexenkessel. Fortbewegen ging nur zentimeterweise. An der Kreuzung zur Wilhelmstraße – also wenige Meter vor dem Pariser Platz – kam alles gänzlich zum Stocken. Mir brach der Schweiß aus. Die dortigen S-Bahnzugänge waren inzwischen geschlossen. Eine Flucht war für mich nicht mehr möglich. Da blieb nur, mich durch zu kämpfen bis zum Reichstagsgebäude. Das war doch eigentlich auch eine gute Idee: ich hatte meinen Dienstausweis dabei, konnte notfalls dort auf kurzem Weg aufs Dach steigen, um von oben etwas zu sehen, denn ich wollte „Riesen“ sehen.
Aber als ich endlich den Weg in die Wilhelmstraße geschafft hatte, um von dort auf Umwegen zum Reichstagsgebäude zu gelangen, hörte ich hinter mir rufen: da kommt das Schiff – die Mädchenpuppe scheint eine Strecke auf der Straße per Schiff zurück gelegt zu haben.
Aber Umkehr war nicht mehr möglich… die Menschenmassen hätten wie eine Wand dort gestanden. Also mein Weg weiter durch die Dorotheenstraße … immer noch ein riesiger Pulk, aber zumindest Luft zum Atmen.
Und dann???? Die riesige Warteschlange für die Kuppel, nur kleine Gruppen wurden eingelassen. Da nutzte es mir wenig, auf schnellerem Wege hinauf zu kommen: am Lift hinunter würde es auch wieder riesige Ansammlungen geben.
Dann die Eingebung: dem Puppenonkel entgegen gehen, irgendwo müsste doch von dem noch ein Zipfel zu sehen sein? Also habe ich die neue U-Bahnstation am Bundestag benutzt, um Richtung Hauptbahnhof zu fahren, das ist eine Station mit der so genannten „Kanzlerbahn“.
Und dann das: die Linie, die nur zwei Stationen immer hin und her fährt: Brandenburger Tor – Bundestag – Hauptbahnhof… und wieder zurück war brechend voll, hin wie auch zurück. Puuuuh…
Aber ich schaffte es. Jedoch ging ich nicht raus aus dem Bahnhofsgebäude, ich hatte einfach die Nase voll. Und ich brauchte ein Klo. So ging ich im riesigen Hauptbahnhof auf die Suche. Und dann das: eine riesige Schlange vor der Damentoilette. Aber die Schlange war international, so hörte ich hier hin und da hin.. so verging die Zeit bis ich dran kam. Wie ich bei meinem Zuhören mitbekam, gibt es nur dieses eine „Örtchen“ mit neun Damenkabinen für den riesigen Hauptbahnhof: Schande über den Architekten und den Bauherrn.
Dann suchte ich mir eine Möglichkeit, von dort nach Hause zu kommen. Und siehe da: ich konnte mit einer Stuttgarter S-Bahn zum Bahnhof Gesundbrunnen fahren, von dort dann weiter nach Hause. Schön… ich sah dann noch eine S-Bahn aus München, die vom Gesundbrunnen zum Bahnhof Südkreuz fuhr. Und plötzlich fuhr eine S-Bahn Rhein-Ruhr? -konnte ich nicht mehr genau lesen – an mir vorüber.
So habe ich wenigstens etwas Außergewöhnliches auf Berliner Gleisen fahren gesehen, nur auf der Straße die „Riesen“, die habe ich nicht gesehen. Die schaue ich im Fernsehen an (Arte, um 20.15 Uhr) ich nehme es auf.
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