Mein Leben mit der Mauer, Rückblick 20 Jahre danach
12. August 2009 von Jolli
Nun ist es fast 50 Jahre her, dass dieses Entsetzten durch Deutschland fuhr – und ganz besonders durch Berlin und die Grenzgebiete: der Mauerbau.
Mich traf es damals insofern, dass mein Hochzeitstermin für den 16. September 1961 fest gelegt war und meine Oma in Pankow die Hochzeit ausrichten wollte. Anfang August haben wir das letzte persönliche Gespräch gehabt und dann einige Tage später… dieser entsetzliche Mauerbau. Meine Oma habe ich nicht mehr wiedersehen dürfen, sie starb vor der ersten Besucherregelung. Die Hochzeit wurde wegen des Mauerbaus nicht verschoben – ich war schwanger. Und 1961 heiratete man nicht nach der Geburt des Kindes……
Aufgewachsen war ich in einem Dorf in Berlin am Grenzfluss Havel. Also hatte ich immer diese DDR-Grenze vor Augen, schon vor dem Mauerbau… aber als Kind nimmt man das nicht so Ernst. War im Winter die Havel zugefroren, dann ging es per Schlittschuh auch schon mal auf die andere Seite… Verbotenes ist für Kinder ja sooo interessant. Erst mit zunehmenden Alter wurde mir bewusst, welche Gefahr da auf uns Kinder hätte lauern können.
Die Jahre des Kalten Krieges in Berlin… Lautsprecherdurchsagen von Ost nach West und umgekehrt.. Tiefflüge der russischen Überschallflugzeuge… Querelen an den Grenzübergängen… Hetzkampagnen im Fernsehen… Die Berlin-Flucht der Firmen: bloß weg von Berlin… die Furcht, die Russen kämen, machte viele kopflos. Und die Flüchtlinge von Ost nach West, die es trotzdem schafften… wenn es auch immer schwerer wurde und die Toten und Verletzten… eine grauenvolle Angelegenheit, die trotzdem irgendwie auch Alltag für die Berliner wurde.
In den 70er Jahren wurde es etwas leichter. Es kostete zwar „Eintritt“ wenn man die Ostverwandtschaft besuchen wollte, aber wer wollte diese Gelegenheiten nicht nutzen? Bei meinem ersten Besuch in Potsdam wurde ich – bestückt mit einem Korb voller Ananas, Bananen und Apfelsinen – von den DDR-Bürgern auf der Straße bestürmt… alle wollten wissen, wo es denn gerade diese Köstlichkeiten gäbe.
In den 80ern sollte ich dann aber durch den Militärischen Abschirmdienst erfahren, dass eben diese in Potsdam besuchten Familienmitglieder für die Stasi arbeiteten.
Anfang der 80er begann meine Arbeit im Reichstagsgebäude und eine andere Welt tat sich auf: gleich hinter dem Gebäude verlief die Mauer, gegenüber das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais… man machte uns aufmerksam: aus dieser Richtung würden wir abgehört mit Richtmikrophonen. Wenn also sicherheitsrelevante Sitzungen anstanden, musste man sich in den einzig abhörsicheren Sitzungssaal begeben. Aber auch daran konnte man sich gewöhnen.
Nur das Niemandsland gegenüber der Spree, auf das ich aus meinem Büro blicken konnte und die Mauer, die bis zum Spreeufer reichte – natürlich auf unserer Seite bunt bemalt… an diesen Anblick konnte man sich nicht gewöhnen. Die Touristen aus Asien, die sich für ein Foto zwischen die Gedenkkreuze für die Mauertoten postierten, waren immer ein scheußlicher Anblick.. Aber wie sollten sie es besser wissen??
Die 80er bescherten uns wiederum ein Stück mehr Normalität – Micheal Jackson gastierte vor dem Reichstagsgebäude und hinter der Mauer wurde auch zugehört. André Heller bescherte uns einen Feuerwerk-Traum vor dem Reichstag und hinter der Mauer schauten auch Tausende zu. Die 750-Jahr-Feier Berlins wurde in Ost und West gleichermaßen gefeiert. Und dann der Besuch des damaligen US-Präsidenten Reagan, der seine berühmte Ansprache an der Mauer hielt. Doch vorher wurden er und seine Frau bei uns im Reichstagsgebäude empfangen, und bevor es los ging zur Mauer, wurden beide umgekleidet: sie mussten schusssichere Westen anziehen. Eine bizarre Situation war es für mich, dies zu sehen.
Und dann dieser 17. April 1989, also wenige Monate vor dem Fall der Mauer: ich erlebte vom Bürofenster aus, wie zwei DDR-Bürger per Lkw auf der anderen Uferseite die Zäune durchs Niemandsland an der Spree durchbrachen. Die beiden robbten durch die zerschlagene Frontscheibe, rannten die Uferböschung hinunter und sprangen ins noch sehr kalte Spreewasser. Einer schaffte es, sich rechtzeitig am Westufer in Sicherheit zu bringen. Der Zweite hatte sich gerade an der Uferböschung festgekrallt, als das NVA-Motorboot ihn erreichte und die Grenzsoldaten ihn mitnahmen.
Die Spree war an dieser Stelle DDR-Gebiet, das Ufer Westgebiet und stand unter britischer Hoheit. So haben es die Briten auch durch ihre Proteste geschafft, dass dieser zweite Flüchtling im Mai 1989 frei gelassen und nach Westen abgeschoben wurde. Und die Briten veranlassten, dass an der Uferböschung ein dickes Tau angebracht wurde, damit Flüchtlinge sich leichter aus dem Wasser hangeln konnten.
Und dann plötzlich war sie nicht mehr, die Mauer… nach der Öffnung der Grenze traten die „Mauerspechte“ unter meinem Bürofenster in Aktion… Ich musste – der Situation angepasst – viele Überstunden machen. Und stand abends immer vor leeren Regalen in den Supermärkten. Nun ja, der Linie hat es nicht geschadet. Und dann passierte das, was ich später auch in ähnlicher Form als Anekdote hörte: Ich nahm, weil kein Frischobst mehr im Obststand zu kaufen war, aus dem fast leeren Konservenregal die letzte (intakte, es standen noch stark verbeulte daneben) Ananas-Dose… die wurde mir aber aus dem Einkaufswagen genommen mit den Worten: das habt ihr 40 Jahre gehabt, jetzt sind wir dran…. es gab wohl öfter solche Kuriositäten, so wie den Mann, der einen ganzen Einkaufswagen voll mit geschnittenem Brot vor sich her schob (vielleicht eingekauft für die gesamte Nachbarschaft?). Es war das Schnittbrot für 99 Pfennig, das qualitativ nun nicht gerade das Beste war…. aber es war aus dem Westen.
Aus dienstlichen Gründen durfte ich die Einheitsfeier hautnah miterleben, und das entschädigte für vieles.
Die Entwicklung in den Jahren nach der Mauer zeigte Neider hüben wie drüben und gerade hier in Berlin – auch hüben und drüben – fiel oft der Satz, her mit der Mauer und bitte noch einen Meter höher. Inzwischen sind wir im Jahre 20 nach der Mauer und jetzt kehrt endlich langsam Normalität ein, zumindest kann ich es in Berlin beobachten.
© 2009 RoWi
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